„Letztlich ist das ein Zu-Tode-Regulieren“
Einerseits nimmt die hohe Regulierungsdichte Freiräume, verzögert Abläufe und verursacht Kosten. Andererseits zwingt ebendieser Kostendruck zu mehr Effizienz an anderer Stelle und kann dadurch zum Katalysator für neue Ideen werden. – Das waren unter anderem Thesen in einer Diskussion über das Spannungsverhältnis von Regulierung und Innovation. Auf dem Podium respektive Sofa tauschten Thomas Hajek (Netinsurer), Roman Kudrna (Ergo), Christoph Neubauer (GPVM Versicherungsmakler) und Ludwig Pfleger (FMA) ihre Standpunkte aus.
Dichte Regulierung und Innovation – geht das zusammen? „Killt“ die Regulierung gar den Fortschritt in der Versicherungswirtschaft? Oder vielleicht umgekehrt?
Es kommt darauf an, um welchen Punkt in der Wertschöpfungskette es geht, meinte Ludwig Pfleger von der Finanzmarktaufsicht (FMA) am Montagabend bei einer Diskussionsveranstaltung in Wien, zu der Insurance Factory und der Versicherungssoftware-Dienstleister Netinsurer IT Services (HKR GmbH) geladen hatten.
Soweit es Schadenbearbeitung und Underwriting betrifft, glaubt Pfleger, dass die Regulierung Vorteile bringen kann. Sie verursache zwar auf der einen Seite Kosten, dies zwinge auf der anderen Seite aber zu (größerer) Effizienz in anderen Bereichen. So könne sie zum Treiber für innovative Ideen werden.
Hemmschuh im Vertrieb
Anders beurteilt Pfleger die Auswirkungen im Vertrieb. Die Regulierung, wie sie derzeit aussieht, sei gewiss ein „Hemmschuh“, der schon in Bezug auf den zeitlichen Ablauf des Versicherns Grenzen setze.
So werde ein „schneller, kurzer, knackiger Abschluss“ durch die bis zur finalen Vertragserklärung vorgeschriebenen Verfahrensschritte nicht so einfach möglich sein. „Das macht Spot-Versicherungen (situationsbedingte Kurzzeit-Versicherungen; Anm. d. Red.) nicht so sexy.“
In Summe sei es eine Frage der Abwägung zwischen dem Konsumentenschutz auf der einen Seite und dem, was an Bremswirkung durch Regulierung akzeptabel ist, auf der anderen.Wenn man eh schon Hand anlegen muss, dann gleich mit „Mehrwert“
Roman Kudrna, Leiter der Gewerbe-, Individual- und Rückversicherung bei der Ergo Versicherung AG, hält es für wesentlich, wie man mit der Umsetzung der regulatorischen Vorgaben umgeht: ob man nur ein Pflichtprogramm fährt oder – da man ja ohnehin „Hand anlegen“ müsse – die „Kür“ läuft, auch wenn das Zusatzaufwand bedeutet.
Wenn man sich für die Kür entscheide – also Effizienz prüfe und Mehrwert schaffe –, könne dies zu einem besseren Markauftritt führen. Der Druck bewirke Innovation, und „wer Mehrwert schafft, wird vom Kunden auch wahrgenommen“.
Es werde sich zeigen, wer über das Pflichtprogramm hinausgeht – und wie die Finanzmarktaufsicht das dann bewerten wird.
„So fühlt sich das an …“
Christoph Neubauer, Geschäftsführer des Mödlinger Versicherungsmakler-Büros GPVM Greslechner + Przyhoda GmbH, hält jedenfalls den Mehrwert, den die Regulierung selbst bringt, für „überschaubar“.
Konsumentenschutz sei wichtig, betonte Neubauer; von der Regulierung in ihrer derzeitigen Form hält er aber wenig. Mit einer Vielzahl an Informationsdokumenten würden „viele bunte Seiten produziert“, ohne dass man deshalb aber sicher sein könne, dass der Kunde das auch alles liest.
Neubauer unterstrich die Notwendigkeit von „Dokumentation und ordentlicher Arbeit, aber letztlich ist das ein Zu-Tode-Regulieren, was hier passiert“.
Letztlich ist das ein Zu-Tode-Regulieren, was hier passiert.
Christoph Neubauer, Versicherungsmakler
Grundsätzliche Kritik äußerte er daran, dass das Maß an Regulierung den Menschen letztlich die Fähigkeit zu entscheiden abspreche. Sie sei darauf ausgerichtet, alles streng zu regulieren. „Ich kann keinem Kunden die Chance geben, eine freie Entscheidung zu treffen – so fühlt sich das an.“
IT als Hebel für kleinere Vermittler
Netinsurer-Geschäftsführer Thomas Hajek sieht als mögliche Effekte der Regulierung, sich entweder mit viel „Papier, Mühe und Humanaufwand“ abzufinden oder schlussendlich eine Marktkonsolidierung.
Aus den Statistiken von Netinsurer sei abzulesen, dass sich bei Vermittlern, die bereits die entsprechende Software einsetzen, in der Folge die Beratung auf mehr Sparten ausdehne, das Beratungsvolumen also zunehme. So könne es auch kleineren Vermittlern gelingen, den gestiegenen Anforderungen gerecht zu werden.
Neubauer zeigte sich zuversichtlich, dass der Versicherungsmakler trotz Regulierung Zukunft hat. „Die Gruppierungen haben Zulauf ohne Ende.“ Software wiederum könne beim Erfüllen der rechtlichen Vorgaben unterstützen. Er fügte aber auch hinzu: „Effizienz ist nicht gleich Innovation.“
Regulierung ist dabei mehr als etwa „nur“ IDD. Regulierung ist zum Beispiel auch DSGVO (Datenschutz-Grundverordnung). Diese habe dazu geführt, dass bestimmte Prozesse überhaupt erst geschaffen werden müssen, sagte Kudrna. Zum Teil existierten die erforderlichen Funktionen bislang nicht.
Hier gehe es etwa darum, wie man mit Löschbegehren Betroffener oder mit dem Wunsch nach „Datenmitnahme“ zu einem anderen Unternehmen umgeht. Letzteres werfe zudem die Frage nach dem Datenformat auf.
Mit einem großen Ansturm an diesbezüglichen Anfragen rechnet Kudrna aber nicht. „Wir gehen von einem selektiven, geringen Grundrauschen aus.“ Ludwig Pfleger sieht das ähnlich. Denn: Im Umgang mit den eigenen Daten fehle es auf Verbraucherseite derweil an der Sensibilität.
Doch auch wenn der durch Anfragen verursachte Aufwand deshalb voraussichtlich eher gering sein werde, müsse man diese Themen „aus Haftungsgründen und wegen des operationellen Risikos ernst nehmen“, unterstrich Pfleger.
Kehrt das Pendel wieder um?
Wenn nun der Mehraufwand zu höheren Kosten führt und diese Kosten am Ende der Konsument tragen muss – „Ist das konsumentenfreundlich?“, wollte Moderator Christian Rieger wissen.
Kudrna glaubt, dass auch in diesem Punkt der Wettbewerb eine Rolle spielen wird und damit einhergehend der Druck in Richtung Effizienz und Automatisierung. Denn: Niemand werde freiwillig wegen der IDD die Preise erhöhen, prognostiziert Kudrna.
Pfleger wies darauf hin, dass die EU-Kommission zurzeit an einem Aktionsplan arbeite, der Erleichterungen für „innovative Lösungen“ wie Insurtech bringen könnte. Diese könnten dann eventuell schon vor der planmäßigen Evaluierung der IDD (VersicherungsJournal 23.2.2018) Platz greifen, so Pfleger.
Es könne in puncto Regulierung also sein, „dass das Pendel dann wieder zurückgeht.“
DANKE Emanuel Lampert für den tollen Artikel!